Nachdenken über gesellschaftlich relevante Fragen
Doppelporträt Michèle Amacker & Patricia Purtschert
Michèle Amacker
Assistenzprofessorin für Geschlechterforschung am Zentrum für Geschlechterforschung
Prof. Dr. Michèle Amacker ist Assistenzprofessorin für Geschlechterforschung am Zentrum für Geschlechterforschung IZFG und am Institut für Soziologie und Co-Leiterin des IZFG (100%). Sie studierte und promovierte in Fribourg in Soziologie, arbeitet seit 2012 am IZFG und übernahm 2014 interimistisch die Co-Leitung.
Patricia Purtschert
Professorin für Geschlechterforschung am Zentrum für Geschlechterforschung
Prof. Dr. Patricia Purtschert ist Professorin für Geschlechterforschung am IZFG und Co-Leiterin des IZFG (75%). Sie promovierte an der Universität Basel in Philosophie und habilitierte an der Universität Luzern in Kulturwissenschaften. Purtschert lebt mit ihrer Partnerin und zwei Kindern in der Nähe von Zürich.
Michèle Amacker und Patricia Purtschert leiten seit 2016 gemeinsam das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung IZFG.
Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Arbeit?
Michèle Amacker: Viel! Mir gefällt, dass wir ein Zentrum sind, an dem Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensläufen zusammenkommen und dass wir interdisziplinär arbeiten. Zudem gefällt mir, dass wir unsere Erkenntnisse nicht «nur» für den Wissenschaftsbetrieb aufbereiten, sondern diese auch nach aussen kommunizieren und in die Praxis einbringen. Das Zentrum für Geschlechterforschung IZFG lebt von einem starken Teamgeist – dieses Umfeld entspricht mir sehr, mehr als alleine in der Kammer Forschung zu betreiben.
Patricia Purtschert: Was mir an dieser Stelle und an den Gender Studies allgemein gefällt ist, dass es um gesellschaftlich Relevantes geht. Im Zentrum stehen Fragen der Gerechtigkeit und der Verteilung von Macht und Ressourcen, die Frage, wie Gesellschaften organisiert sind, wie Wissen hergestellt wird und welche Bedeutung ihm zukommt. Aber auch ein profundes Nachdenken über unsere Weise, in der Welt zu sein, hat darin Platz. Nach langen Jahren als Forscherin habe ich mich zudem auf das teamorientierte Arbeiten am IZFG sehr gefreut – sehr zu Recht, wie ich heute sagen kann!
Versteht ihr Eure Laufbahn als eine «klassisch akademische» Laufbahn?
PP: Ja und nein. Ich habe einerseits ein klassisches Profil mit vielem, was dazugehört: Meine Stationen haben mich von der Dissertation zur Habilitation auf eine Professur geführt, begleitet von Aufenthalten an Universitäten auf drei Kontinenten. Andererseits habe ich meine Position an der Universität oftmals als unsicher erlebt, da ich mit Themen beschäftigt war, die keinen leichten Stand in der Wissenschaft haben. Mir war lange völlig unklar, ob es für jemanden wie mich, die sich schwerpunktmässig mit feministischer Philosophie oder Postkolonialismus beschäftigt, eine Zukunft in der Akademie geben würde. Es gibt ja kaum Lehrstühle, an denen solche Themen Platz haben. Dennoch habe ich mich, wenn es um die Abwägung zwischen einer wichtigen Forschungsfrage und einem strategischen Karriereziel ging, immer für die Inhalte entschieden. Glücklicherweise liess sich beides auch immer wieder vereinen.
MA: Ich verstehe meine Laufbahn eindeutig als «unklassisch». Ich wollte ursprünglich eine Kunsthochschule besuchen. Erst nach einem langen Arbeitsaufenthalt in Brasilien entschied ich mich, Soziale Arbeit zu studieren. Da ich in meiner Familie keine Vorbilder hatte, die die Universität absolviert haben, kannte ich den Wissenschaftsbetrieb überhaupt nicht. Ich erinnere mich aber gut an das erste Seminar in Sozialforschung. Auf einmal verstand ich, was es bedeutete, Forschung zu machen. Während des Studiums habe ich immer zu 50% ausseruniversitär gearbeitet – mir waren diese beiden für mich gleichwertigen Standbeine sehr wichtig. Ich habe ein Projekt in der offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geleitet und mir dort sehr wichtige Qualifikationen angeeignet, wie die Akquise von Geldern, Projektmanagement und Teamleitung. Nach dem Abschluss hatte ich zunächst nicht zwingend vor, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. In den Gender Studies habe ich dann aber eine wissenschaftliche Heimat gefunden und mich für eine Dissertation entschieden. Am IZFG habe ich nun eine Anstellung, die wiederum zwei Standbeine vereint: die Co-Leitung des Zentrums sowie eine akademische Qualifikationsstelle als Assistenzprofessorin mit Tenure Track. Es sind also viele verschiedene Fähigkeiten gefordert und nicht allein akademische. Viele davon habe ich mir, wie erwähnt, ausserhalb der Universität angeeignet. Gleichzeitig erfülle ich nicht alle sogenannten Exzellenz-Kriterien. So war ich nie für längere Zeit an einer ausländischen Universität. Da ich neben dem Studium immer erwerbstätig war, wäre dies schwierig zu organisieren gewesen. Ich hatte immer Stellen mit viel Verantwortung. Natürlich wurde ich immer wieder gedrängt und darauf hingewiesen, dass ich ins Ausland gehen sollte. Ich finde, das Mobilitäts-Kriterium wird insgesamt überbewertet, und die problematischen Seiten davon werden ausgeblendet.
Frau Purtschert, Sie waren ja auch im Ausland, war das ein bewusster Entscheid im Sinne einer Karrierelogik?
PP: Nein. Ich war als Studentin in Ghana, weil ich afrikanische Philosophie studieren wollte und später ging ich nach Berkeley, weil ich dort mit einer bekannten Philosophin zusammenarbeiten wollte. Dass ich dann ein Jahr in Paris und eines in Berlin war, hatte vor allem ökonomische Gründe: Ich benötigte ein Stipendium und erhielt eines, welches einen Auslandsaufenthalt vorschreibt.
Gut taten mir die Auslandserfahrungen darum, weil das Leben und Arbeiten in einer anderen Wissenschaftskultur das Denken herausfordert und erweitert. Ich gehe aber mit Michèle einig, dass die Mobilität teilweise überbewertet wird. Das wurde mir klar, als ich Kinder bekam. Da meine Partnerin und ich uns die familieninterne Kinderbetreuung hälftig teilen, musste ich in den letzten Jahren das Reisen massiv zurückschrauben. Dabei stellte ich fest, dass der Verlust nicht so gross ist, wie ich befürchtet hatte. Ich kann via Skype oder E-Mail mit Menschen rund um den Globus kommunizieren. Es entspricht darum nicht meiner Erfahrung, dass man «abgehängt» wird, wenn man nicht dauernd unterwegs ist. Die Konzentration aufs Wesentliche, welche die Situation als Elternteil erforderlich macht, erlebe ich im Gegenteil auch als hilfreich.
Frau Purtschert, bisher haben Sie sich ja vor allem auf die Forschung konzentriert. Wie erleben Sie nun die Arbeit am IZFG mit den zwei Standbeinen?
PP: Da ich meine Stelle erst diesen Februar angetreten habe, ist es noch zu früh zu sagen, wie sich die Arbeit auf die Dauer einpendeln wird. Insgesamt werde ich sicher deutlich weniger Forschungszeit haben als zuvor. Das hat teilweise mit der Co-Leitung des IZFG zu tun, allerdings ringen auch Professor*innen auf klassischen Stellen um ihre Forschungszeit. Dafür habe ich vermehrt die Möglichkeit, meine Themen zusammen mit einem Team in der Rolle als «Senior Researcher» zu bearbeiten, zum Beispiel indem ich Forschungsstellen für andere schaffe und ihre Arbeiten mitbetreue. Das finde ich eine sehr schöne Perspektive.
Sie, Frau Amacker, sind gleichzeitig an Ihrer Habilitation und Co-Leiterin des IZFG. Wie lässt sich das vereinbaren?
MA: Wie lange meine Arbeitstage sind, ist mir kürzlich bewusst geworden, als mich eine Jugendliche aus dem nahen Umfeld gefragt hat, ob sie ab dem nächsten Schuljahr bei mir wohnen könnte. Ich arbeite aber praktisch jeden Abend und oft am Wochenende, so dass ich diese Care-Aufgabe im Moment nicht übernehmen könnte. Die Co-Leitung nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, da wir am IZFG zu sehr unterschiedlichen Themen arbeiten und ich in fast alle Projekte involviert bin. Die Verantwortung für verschiedene Forschungsgruppen inklusive zeitaufwendiges Einwerben von Drittmitteln füllt meine Tage sehr aus und erfordert hohe Präsenz. Das beisst sich natürlich mit der eigenen Forschungstätigkeit, die konzentriertes Arbeiten erfordert – was dann in die Abendstunden oder auf die Wochenenden fällt.
Welche strukturellen Veränderungen wünschen Sie sich an den Universitäten?
MA: Ich betrachte den Exzellenz-Diskurs mit Besorgnis und kann nicht nachvollziehen, wie hier wissenschaftliche Qualität beurteilt wird. Die Überzeugung, die Qualität wissenschaftlicher Arbeit könne allein durch objektive Kriterien wie etwa anhand der Anzahl an Publikationen festgelegt werden, finde ich fragwürdig. Allerdings hat genau diese Logik heute eine grosse Bedeutung für die Nachwuchsförderung. Nachwuchswissenschaftler*innen sehen sich gezwungen, diesen Kriterien vollständig zu entsprechen. Wer sich nicht zielstrebig genug bewegt, gilt schnell als nicht mehr förderungswürdig. Es ist schwierig, ein Stipendium für ein Doktorat zu erhalten, wenn ich offenlege, dass ich mir auch vorstellen könnte, einmal ausserhalb der Universität wissenschaftlich zu arbeiten. Das wird als nicht ambitioniert genug eingestuft. Mir erscheint dies problematisch und auch realitätsfremd. Wir wissen alle, wie wenige feste Stellen es in der Akademie gibt. Hier braucht es ein Umdenken im Exzellenz-Diskurs. So müsste beispielsweise die Vielfalt von Stellen und Tätigkeiten in der Postdoc-Phase gefördert werden. Dazu gehören auch Teilzeitprofessuren, wie wir sie hier am IZFG jetzt haben.
PP: Ich unterstütze das sehr und finde es ebenfalls zentral, dass Universitäten unterschiedliche Biografien und Lebensläufe beherbergen. Das Qualifikationskriterium «schnell und jung» finde ich problematisch und alles andere als eine Garantie für gute Forschung. Die akademische Qualifikation muss vereinbar sein mit anderen Lebensaspekten – seien es politische, soziale, künstlerische oder Care-Tätigkeiten. Inhaltlich finde ich es zudem enorm wichtig zu verstehen, dass es Forschung gibt, die nicht mit ökonomischen Kriterien evaluiert und einem reinen Nutzenkalkül unterworfen werden kann. Darunter fällt eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen und ihren Veränderungen, wie sie etwa in bestimmten Bereichen der Geisteswissenschaft geführt wird. Auch interdisziplinäre Forschungsansätze wie die Gender Studies mit grosser Nähe zu gesellschaftlichen Fragen tragen in einem hohen Masse zu diesem Reflexionswissen bei.
Michèle Amacker, wie verbringen Sie Ihre Zeit?
Prozentual Stunden pro Tätigkeit in einer durchschnittlichen Woche:
Patricia Purtschert, wie verbringen Sie Ihre Zeit?
Prozentual Stunden pro Tätigkeit in einer durchschnittlichen Woche: