Perspektiven verstehen

© Universität Bern. Bild: Daniel Rihs

Chinwe Ifejika Speranza

Professorin für Geographie und Nachhaltige Entwicklung

Prof. Dr. Chinwe Ifejika Speranza ist Ordentliche Professorin (100%) am Geographischen Institut. Sie leitet die Unit «Nachhaltige Land- und Ressourcennutzung», die zu den Auswirkungen von Landnutzungen auf verschiedene Ökosystemdienstleistungen, wie zum Beispiel den Erosionsschutz, die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit oder die Lebensmittelproduktion, forscht. Mit ihren Studierenden ist sie oft praxisnah in Feldkursen unterwegs. Chinwe Ifejika Speranza und ihr Ehepartner haben zwei Kinder im Alter von 18 und 15 Jahren.

 

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders gut?

Meine Arbeit macht Spass, weil ich mir die Themen selber aussuchen kann und ich viele Gestaltungsmöglichkeiten habe. Es geht um Wissensgenerierung und Wissensaustausch zwischen verschiedenen Leuten. Durch meine Forschung kann ich zu den wichtigen Diskussionen rund um Nachhaltigkeit beitragen. Diese Freiheiten sind aber auch mit besonderen Pflichten verbunden. Wir versuchen, Antworten auf gesellschaftliche Fragen zu finden, also nicht nur für uns zu forschen.

Ist Ihre Karriere «klassisch» verlaufen?

Nach meinem Studium in Nigeria und Zürich habe ich acht Jahre in einer kantonalen Verwaltung gearbeitet. Ich habe dann eine Möglichkeit gehabt, innerhalb des NCCR North-South meine Dissertation zu schreiben und bin so zurück in die Wissenschaft gekommen. Durch die verschiedenen Blickwinkel ist mein Erfahrungsschatz sicher reicher geworden. Zum Beispiel habe ich mir in der Verwaltung Überlegungen gemacht, wie sich mit Geodaten Planungs- und Umweltschutzmassnahmen umsetzen lassen. In der Lehre hilft mir dieses praxisbezogene Wissen jetzt.

Mit welchen Schwierigkeiten sind Sie konfrontiert und wie gehen Sie damit um? Haben Sie von Mentoring-Angeboten profitieren können?

Ich hatte das Glück in einem Peer-Mentoring-Projekt mitzuwirken. Der Austausch in dieser Gruppe war sehr bereichernd. Als schwierig empfinde ich es, neben der Arbeit Familie und Freundschaften genügend Zeit zu widmen. Seit ich in Bern begonnen habe, konnte ich mich schon einigermassen an die ganzen Abläufe und Fristen gewöhnen, wie sie hier gehandhabt werden. Als Professorin an der Universität in Bonn konnte ich bereits Erfahrungen sammeln, welche mir in Bern den Einstieg erleichtert haben. Den Balanceakt zwischen Lehre, Forschung in internationalen Kontexten und Familie schaffe ich nur dank guter Planung. Mein Mann hält mir den Rücken frei, sei es mit Kochen am Abend oder Einkaufen. Ohne ihn würde das nicht gehen.

Wie stark werden Sie im wissenschaftlichen Alltag damit konfrontiert, dass Sie an einer westeuropäischen Universität lehren und arbeiten, also zum Beispiel bei der Auslegung von Forschung und Lehre auf mehrheitlich westeuropäische Denkweisen?

Als afrikanische Schweizerin kenne ich diese verschiedenen Perspektiven. Aber dass ich überhaupt heute hier stehe, ist schon ein Statement – nicht nur ein Statement für mich, sondern auch für die Universität Bern. Es ist wichtig, dass man sich mit Weltanschauungen und wie sie die Forschung beeinflussen kritisch auseinandersetzt. Und es ist natürlich falsch, von aussen zu meinen, dass Landnutzer_innen zu wenig über das Land, das sie selber bewirtschaften, wüssten. Als Wissenschaftler_in sollte man versuchen, diese Perspektiven zu verstehen. Auch die sogenannte westliche Perspektive hat von anderen Perspektiven viel profitiert. In der Lehre zeige ich den Zusammenhang zwischen Wissensproduktion und Interessen anhand von Beispielen auf, etwa mit Videos, in denen sich verschiedene Meinungen gegenüber stehen. Oder durch das Vergleichen verschiedener Literatur oder Zeitungsartikel. Es kommt ganz auf die Fragestellung an.

Lassen sich solche Prinzipien der Wissensproduktion auf die strukturellen Ebenen der Universität übertragen?

Die Koordinationsstelle für Nachhaltige Entwicklung des Vizerektorats Qualität unterstützt die Integration der Nachhaltigkeit bereits universitätsweit. Besonders in unserem Gebiet ist es wichtig, dass man ein Forschungsprogramm mit Forschungspartner_innen diskutiert und dass man zusammenarbeitet, nicht nur am Anfang und am Ende – im Sinne des Wissenstransfers – sondern vom Anfang bis zum Ende – als Wissenskoproduktion. Nachhaltige Entwicklung ist eine grosse Herausforderung. An der Universität Bern ist Nachhaltigkeitsforschung etabliert, aber es ist wichtig, uns selber zu beobachten, ob wir uns auch wirklich daran halten.

Welche Tipps geben Sie dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Bezug auf eine wissenschaftliche Karriere auf Ihrem Gebiet?

Es ist wichtig, dass man etwas mit Herzblut macht. Die Wissenschaft ist kein Nine-to-five-Job. Neben der eigenen innovativen Arbeit ist die Zusammenarbeit wichtig. Auf Doktoratsstufe würde ich ein Mentoring sowie Peer-Mentoring empfehlen, also den regelmässigen Austausch mit Peers über die eigene Forschung.